Tanzen wir noch oder demonstrieren wir schon?

Jason Krüger / ekvidi

Mit der Anti-AfD-Demo beweist die Berliner Clubszene gerade eindrucksvoll, wie viele Menschen sie mobilisieren kann. Ist Techno aus Versehen eine politische Bewegung geworden? Ein Beitrag für ze.tt.

Draußen versüßt die Abendsonne den Feierabend der Berliner*innen und wir sitzen im düsteren Club. Keine Musik, keine Lightshow, stattdessen wenig charmantes Putzlicht und das leise Surren der Kühlschränke im Hintergrund. Über 40 Vertreter*innen verschiedenster Partykollektive, Clubs und Organisationen sind heute in den Yaam-Club gekommen, um die wahrscheinlich größte AfD-Gegendemo zu organisieren, die Berlin je gesehen hat.

„Hauptsache es knallt – Keine halben Sachen, AfD wegbassen“ steht auf dem Veranstaltungs-Poster, das eine Ecstasy-Pille mit Antifa-Logo ziert. Eine Anspielung auf die hochdosierte Szene-Droge, die man heutzutage immer halbieren sollte. Zurückhaltung, die bei der Bekämpfung der AfD natürlich nicht geboten ist. Der Witz ist provokant, trifft aber direkt ins Zwerchfell der Szene. Und genau die soll jetzt Gesicht zeigen.

Die Professionalität, die hier beim Orga-Plenum über vier Stunden an den Tag oder mittlerweile die Nacht gelegt wird, hat nicht viel mit der lustigen Pille zu tun, die da draußen beim Partyvolk ankommt. Handys werden eingesammelt, ein Moderator bestimmt, Zustimmung per Handzeichen gegeben, die Diskussionen sind zielstrebig und respektvoll. Müssen sie auch. Über 120 Kollektive haben sich der Aktion mittlerweile angeschlossen. Zusammenarbeit ist gefordert, in lauter Bereichen, die ja wirklich niemandem Spaß machen: Finanzen, Recht, Presse – das ist serious Business, langatmig und anstrengend.

Aber es lohnt sich, die Mischung aus Politik und Bass zieht. Am Pfingstmontag interessierten sich bereits 20.000 Menschen für die Demo oder wollen teilnehmen. Fast 30 Jahre nach der ersten Loveparade, die noch relativ sinnfrei für Friede, Freude, Eierkuchen demonstriert hat, stellt sich nun die Frage: Geht es der Clubszene um mehr als nur ihr Recht auf Feiern? Ja, tut es, versichert Raimund Reintjes von der Clubcommission: „Es geht um eine politische Haltung. (…) Es geht um die Frage: Wie gestalten wir das gesellschaftliche Miteinander, wie lösen wir Konflikte, welche Werte verteidigen wir – auf dem Dancefloor, auf der grünen Wiese und auf den Straßen der Städte?“ Anders gesagt: Es geht um ein liberales Weltbild.

Eigentlich sollte die Kirche Clubsteuer zahlen

Eine gute Nachricht für alle besorgten Eltern, die bei elektronischer Tanzmusik nur kranke Geräusche und Drogenverherrlichung hören: Die Clubszene fixt ihre Jünger*innen in erster Linie nicht über Speed und Ecstasy an, sondern über die Gemeinschaft. Ein Stichwort fällt in diesem Zusammenhang immer wieder: safe space.

Der Club als Schutzraum, ein sicherer Ort, in dem aufeinander geachtet und respektvoll miteinander umgegangen wird. In dem sich jede*r frei bewegen und entfalten kann, ohne Angst haben zu müssen wegen Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Aussehen, Klamotten oder sexueller Orientierung dumm angemacht zu werden.

Klingt simpel, ist aber eine tiefgreifende Erfahrung, die jeden Frischling am Anfang seiner Feierkarriere erst misstrauisch macht („Warum bietet die mir ungefragt eine Zigarette an?“), dann umhaut („Einfach so?!“) und oft nachhaltig verändert („Hier, nimm mein Feuerzeug, ich hab zwei!“).

Jason Krüger / ekvidi
Foto: Jason Krüger / ekvidi

Man kann das Prinzip safe space naiv finden. Wirklich dumm wäre es allerdings, seine Auswirkungen zu unterschätzen. Wer gerade zwölf Stunden mit Hunderten Fremden auf engstem Raum getanzt und gelacht hat, ohne dass es Stress oder Streit gab, dem*der kommt die anschließende 15-minütige U-Bahn-Fahrt inmitten der Ellenbogengesellschaft fast schon gewalttätig vor. Da drängt sich automatisch die Frage auf: Was läuft hier eigentlich schief?

Im Grunde könnte man die vollen Tanzflächen – safe spaces – jedes Wochenende rund um die Welt als Demonstration dafür werten, dass es noch nicht zu spät ist für die Menschheit. Wo begegnet man heutzutage noch so konsequent gelebter Nächstenliebe? Im Prinzip sollte die Kirche Clubsteuer zahlen. Das ist der vielleicht wichtigste Punkt der Diskussion: Aus politischem Interesse geht kaum jemand feiern. Aber selbst die, die ganz ohne ideologischen Hintergedanken tanzen, werden im Club zu Statist*innen einer linken Utopie, bei der Staat und Kirche längst versagt haben.

Konfetti als Sprengstoff

Konservativen und rechten Parteien ist das natürlich ein Knicklicht im Auge: Tausende Menschen, die friedlich Freiheit, Individualismus und Humanismus feiern – wo kommen wir denn da hin? Es ist kein Zufall, dass kürzlich eine AfD-Politikerin das Berghain verbieten lassen wollte. Oder dass Mitte Mai in Tiflis die Techno-Clubs Bassiani und Café Gallery unter dem vermeintlichen Vorwand einer Drogenrazzia von der schwer bewaffneten Militärpolizei gestürmt wurden. Für diese Regierung sind nicht Maschinengewehre im Club das Problem, sondern Konfetti der eigentliche Sprengstoff.

Wenn Clubs und Partykultur für die Parteien und Regierungen ein Thema sind, dann sind sie wohl auch politisch.

Auffällig ist ebenfalls, dass Clubs, die sich politisch positionieren, in Berlin besonders gut laufen. Das Mensch Meier feiert Inklusionspartys. Im about:blank wird nicht nur regelmäßig politisch diskutiert, sondern auf eine 50/50-Frauenquote geachtet und der Einheitslohn konsequent umgesetzt.

Im Nebel der Tanzfläche bilden sich zudem Kollektive, die sich politisch engagieren: Eine Gegendemo zu G20 hieß nicht zufällig „Lieber tanz ich als G20“. Die Veranstaltungsreihe „Rebellion der Träumer“ hat die 1. Mai-Proteste dieses Jahr in den „soziokulturell benachteiligten Problemkiez“ Grunewald gebracht.

Oder das Schön-dass-ihr-da-seid-Bündnis, das die letzten zwei Jahre Geflüchtete mit einem Fest willkommen geheißen hat. Dessen Koordinatorin Eva Deitert, Politikwissenschaftlerin und selbst viel im Nachtleben unterwegs, wünscht sich trotzdem mehr Bewusstsein unter den Raver*innen: „Wenn wir alle schon politisch wären, bräuchte es kein krasses Techno Line-up, um uns gegen die AfD auf die Straße zu bringen. Umso wichtiger, dass die Clubs nun politische Nachhilfe leisten.“

Für diese politische Nachhilfe gibt es noch viele Beispiele. Im Eingangsbereich der Clubs sieht man häufig die Schilder: No Racism, No Homophobia, No Sexism. Riesige Techno-Festivals wie die Fusion verzichten komplett auf kommerzielle Werbebanner und Fleischkonsum und rufen den Wochenendkommunismus aus. DJs erziehen die Gäste beim Open Air mittels Musik-Entzug dazu, die Tanzfläche zu entmüllen. Selbst kleine 500-Personen-Festivals leisten sich Awareness-Teams. Und frauenfeindliche Aussagen wie vergangenes Jahr von Giegling-DJ Konstantin lösen eine Empörungswelle aus, die nicht nur mit einem Shitstorm, sondern auch dem Kick vom Line-up namenhafter Festivals bestraft wird.

Foto: Jason Krüger / Ekvidi
Foto: Jason Krüger / Ekvidi

We dance together, we fight together

Spätestens wenn der ertanzte Freiraum bedroht ist, kommt die Szene in Bewegung, auch international: Im Falle des Bassianis in Tiflis etwa forderten Tausende Menschen in einem spontanen Demo-Rave den Rücktritt des Premiers und des Innenministers. Internationale Szene-Größen wie Ben Klock oder Nina Kraviz solidarisierten sich über die sozialen Netzwerke.

Auch in Berlin wurde vor der georgischen Botschaft gegen das unverhältnismäßige Vorgehen der Regierung protestiert. Alles unter dem Motto: We dance together, we fight together.

DJ Felix Schmeckefuchs vom Kollektiv Rebellion der Träumer sagt dazu: „Diese Orte sind extrem wichtige soziale Zentren, das ist mehr als eine Musikspielstätte. Wenn etwa eine Oper abgerissen werden würde, gäbe es einen riesigen Aufschrei. Genauso gibt es einen riesigen Aufschrei wenn das Jonny Knüppel (Anm. d. Red.: Berliner Szeneclub) zugemacht wird. Nur dass die Leute halt relativ weit weg sind von der Macht.“ Dafür sind sie sehr, sehr viele.

Diese Clubschließungen sind oft der Schockmoment, in dem die (Facebook-)Seifenblase platzt: Unsere Freiheit ist nicht selbstverständlich und muss gerade in Zeiten des Rechtsrucks verteidigt werden.

Spätestens kommenden Sonntagmittag wird diese Erkenntnis auch die letzten Raver ereilen, wenn die Musik abgestellt wird und die Clubs verkünden, dass die Party jetzt auf der Straße weitergeht – als „antifaschistische Afterhour“, die in die Geschichte eingehen könnte.

Text: Antonie Hänel

Bilder: Jason Krüger

Dieser Artikel ist zuerst auf ze.tt erschienen.

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