Punk im Porzellanladen

Die Wände ihres Kinderzimmers hatten es schon angedeutet: Wenn von der einen Wand Britney lächelt und von der anderen Manson grummelt, dann kann dabei nur so etwas herauskommen wie Grimes. Die kanadische Musikerin verbindet in ihrer Musik so furcht- und schamlos Mainstream mit Avantgarde, dass es eine oft anstrengende, aber auch wahre Freude ist.

Schon ihr Erscheinungsbild ist eine einzige Collage: Jede Woche eine neue Haarfarbe – gerne auch drei gleichzeitig. Camouflage-Parker zu hohen Schuhen, Baseballcap zum Undercut, drittes Auge auf der Stirn zu tätowierten Fingern, übergroße Bandshirts zu Adiletten. Claire Boucher ist sowas wie ein menschgewordener Tumblr, auf dem alles gepostet wird, was gefällt. Und Grimes ist ganz schön begeisterungsfähig, wie ihr richtiger Tumblr zeigt: Collagen aus alten Gemälden und neuen Fotos, Mangas, Tierfotos, Kultiges aus den Neunzigern und Musik von A Flock of Seagulls bis Selena Gomez – alles kann, nichts muss.

Mittlerweile wird Grimes für diese Kompromisslosigkeit gefeiert: Designer statten sie aus, die „Times“ wählte ihre neue Single zum Song des Jahres, die Musikgazetten feiern sie. Das war nicht immer so. Als Grimes ihr erstes Boiler-Room-Set spielte, stand den Besuchern der Schock ins Gesicht und im Internet der Shitstorm geschrieben: Mariah Carey? Vengaboys? Meint die das ernst? Die Antwort hat Teile der Musikbevölkerung schwer verunsichert: Ja. Und auch noch ohne Ironie. Der geschmackssicheren Trendpolizei sind die Pornobalken aus dem Gesicht gefallen.

All das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man „Art Angels“ hört. Das vierte Grimes-Album klingt genauso wie sie aussieht: wild, schrill, weird, bunt, irre. Überdrehte Hits zwischen Electronica, überzuckerten Popmelodien, sich überlagernden Helium-Stimmen und absolutem DIY-Anspruch. War „Visions“, das Album, das Grimes 2012 bekannt machte, in seiner Hit-Ästhetik immerhin noch eine runde Sache, ist „Art Angels“ nun pure Anarchie. Da wird gerappt, gepitcht und gemixt was kein Zeug mehr hält.

Wie ein Elefant im Porzellanladen des vermeintlich guten Geschmacks wirft Grimes Schränke und Regale um, um die Scherben, die andere weggeschmissen hätten, fasziniert weiterzuverarbeiten, Mit irgendwelchen Stilregeln kommt man da nicht weiter. Man muss die Schubladen schließen, um das zu begreifen. In einer Zeit, in der der Geschmack vorgegeben und zum Halt der eigenen Persönlichkeit wird, ist diese „Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt und es ist mir egal was jemand davon hält“-Idee ziemlich revolutionär. Und ein willkommener Faustschlag in die Hipster-Magengrube.

Fotocredit: Beggars Group / Rankin

Text: Antonie Hänel

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