Spieglein, Spieglein: Teil 2 – Mittendrin

Foto: Maximiliane Wittek

Augen auf. Blitzlicht, Schweiß und Euphorie. Augen zu. Bass, Bass, Bass. Ich steh mitten im Wald. Eine erlösende Melodie irgendwo ganz hinten. Ich dreh‘ durch. Wenn jetzt noch dieser eine Ton … tatsächlich, da ist er. Keine Musikhalluzination. Tränenschleusen öffnen sich. Zu viel Perfektion für einen Augenblick. Augen auf. Da vorne sehe ich Lucy, schon im Ravenden-Roboter-Zustand. Das zieht sie jetzt tagelang durch. Wie damals, als wir sie im Gewühl verloren und 24 Stunden später auf demselben Fleck wiedergefunden haben.

Alles um mich herum ergießt sich in Schönheit. Alles ist im Fluss, tausend Kreise schließen sich. Mittlerweile kommt mir das hier wie die einzig logische Form zu leben vor. Wie war das noch in der richtigen Welt? Geld? Braucht kein Mensch. Hass? Macht gar keinen Sinn. Neid? Ich bitte euch. Jedes Mal, wenn mich die Spiegelkugel direkt in die Iris trifft, wird eine neue Erkenntnis wie ein kleiner Blitz in mein Gehirn gepflanzt. Ich tanze mir die Weisheit direkt in die Seele. Alles ist Rausch und gleichzeitig so klar. Blitz: Vergiss‘ diesen uralten Streit! Blitz: Ruf Oma an, sie freut sich! Blitz: Mach dieses Projekt! Wow, ohne Angstzentrum lässt es sich viel besser entscheiden.

Dieses Festival ist nichts anderes als ein Workshop, in dem man lernt, wie man sich am besten im Moment badet. Genauso. Die Simplizität des Lebens. Der Höhepunkt des Tracks. Ich drehe mich lachend im Kreis. Wie irre ist das denn: Hier liegt ein riesiger verspiegelter Zylinder mitten im Wald. Darin steht der DJ, davor sitzt Zora. Sie lehnt mit dem Rücken an der Spiegelwand, streckt die Arme gen Sternhimmel, den Stift am Gürtel und das Notizbuch immer griffbereit. Neben ihr tanzt eine vollkostümierte Elfe neben einem Mann mit blonder Perücke und einem Nackten im Ganzkörperglitzer-Bodypainting-Kostüm. Dazwischen hangelt sich ein Hippie mit Stirnband von Baum zu Baum, die Schritte so unsicher, als würde er auf Wolken gehen.

Da tanzt Alice auf mich zu, die Augen halb geschlossen, den Kopf verzückt schräg gelegt. Jetzt hält sie mir ihre Flasche entgegen und lacht. Willkommen im Club. Wir sind alle sowas von angekommen, wir sind alle sowas von da. „It’s all an illusion. It’s not real. It’s not motherfucking real. It’s all you feel“, singt Raz Ohara, irgendwo da vorne, zwischen all den Leuten, die die Bühne gestürmt haben. Ich will auch hin zur Musik und beginne mich durch das Gedränge zu quetschen. Blitz. Blitz. Blitz. Schwarz.

Weiterlesen:

Teil 3: Is this real life?

Teil 1: Nüchtern

Foto: Maximiliane Wittek

Text: Antonie Hänel

Diese Kurzgeschichte ist zuerst in der Garbicz Gazeta #1 erschienen.

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