Spieglein, Spieglein: Teil 1 – Nüchtern

Foto: Maximiliane Wittek

Es ist angerichtet. Alle Freunde sind da, die Zelte stehen und der Bass knallt mit der Sonne um die Wette. Fehlt nur noch der Spiegel. Ich wühle in Taschen und Rucksäcken herum, um meine bewährte Partyausrüstung zusammen zu suchen und fühle mich irgendwie erregt. Die Aufregung spitzt sich zu, die Vorfreude schlägt Purzelbäume.

Während der nächsten drei Tage und Nächte wird unser einziger Job sein, sich von einem Höhepunkt zum nächsten zu hangeln. Hedo-Modus on! Wenn doch nur dieser Spiegel … Orga-Talent Lucy hat es geschafft, alle Freunde aus der näheren Umgebung zusammenzutrommeln, die Vorräte irgendwo zu verstauen und jedem ein Getränk in die Hand zu drücken. „Kann losgehen!“ verkündet sie mit der Autorität eines Polizisten im Kreisverkehr.

Da kommt Alice angehopst und wird von der ganzen Gruppe mit Jubel begrüßt. Sie strahlt mit ihren leuchtenden Accessoires um die Wette, aber gegen eine rotbackige, gut gelaunte Alice kommt nicht mal eine Spiegelkugel an. Apropos! „Guckt mal hier, was ich mitgebracht habe!“ Alice kramt in ihrer fluoreszierenden Bauchtasche, fischt ein kleines Prisma heraus, hält es gegen die Sonne und ist so fasziniert von dem Lichteffekt, dass sie über eine Zeltschnur stolpert. Gott, bin ich nüchtern.

„Hast du noch einen normalen Spiegel dabei?“ frage ich sie aus dem Zelt heraus. Fragezeichen in ihrem Gesicht: „Wozu sollte ich den brauchen?“  Klar, wozu brauche ich einen Spiegel, wenn wir Kristalle und Prismen haben. Als ich mich endlich aus dem Zelt hieve, höre ich, wie er unter meinen Schuhen zerbricht. Kann losgehen jetzt.

Weiterlesen:

Teil 2: Mittendrin

Teil 3: Is this real life?

Foto: Maximiliane Wittek

Text: Antonie Hänel

Diese Kurzgeschichte ist zuerst in der Garbicz Gazeta #1 erschienen.

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