Spieglein, Spieglein: Teil 3 – Is this real life?

Foto: Maximiliane Wittek

„Gaaanz tief einatmen“, sagt sie. Wer ist das? Sie trägt einen Badeanzug, in dem sich der See spiegelt und redet mit mir. „Und wieder aus!“ Dass ich da mal dran erinnert werden muss. Aber jetzt merke ich es auch: Atmen tut gut, fühlt sich an wie Frühjahrsputz im Körper. Die Stille tut gut. Die Natur tut gut. Die Bäume, das Wasser, die Sonne auf der Haut. Alles wird leichter. Um mich herum baut sich meine Komfortzone auf, langsam bin ich wieder sicher. In dem Badeanzug der Frau glitzert das Wasser, in dem Wasser glitzert ihr Badeanzug, dazwischen die Unendlichkeit. Abgefahren.

Vorhin dachte ich, mein Leben wäre vorbei, dabei war es nur das DJ-Set. Dann habe ich Alice, Lucy, Zora und alle anderen verloren und vergessen wo ich war und dann stand ich da, irgendwo zwischen Wiese und Wald. Dann verschwimmt alles. Mein Handy war plötzlich spiegelverkehrt, was war das eigentlich, kann ich mir immer noch nicht erklären. Als nächstes habe ich ewig lang mein Gesicht in einem Spiegel gesucht, bis mir aufgefallen ist, dass es gar kein Spiegel, sondern nur ein Fenster war. Dann eine Liege, die weich wie Watte war und ein marokkanisches Hochzeitszelt, das nach allen Seiten zerflossen ist, und bedrohliche Musik, die nach „Peter und der Wolf“ klang und sehr viele Menschen, die das alles irgendwie gar nicht schockiert hat. Dann hat mich jemand an der Hand genommen und gesagt: „Lass uns fühlen gehen.“ Wir sind den Seeweg mindestens hundert Kilometer unter funkelnden Spiegeln in den Baumkronen entlang in die Richtung, in die man sonst nie geht. Dann sind wir diesen  Trampelpfad runter und mit einem Mal hat sich das Schwarz in Glitzer verwandelt und dann war da dieses Bett auf dem Wasser wo wir jetzt liegen. Ist das schön hier.

Ich erzähle der Spiegelfrau von der Angst, die ich vorhin hatte, von der Angst, das Glück verloren zu haben, wie einen Beutel mit ganz viel wichtigem Kram drin. „Es war, als würde ich die getönte Sonnenbrille absetzen und plötzlich sehen, dass die Welt in Wahrheit ganz grau und kalt ist.“ – „Und wie ist es jetzt?“ – „Jetzt ist es schön.“ – „Siehst du?“ Siehst du, sagt sie. Was soll das bedeuten? „Du musst keine Angst haben, dass das jemals aufhört. Du hast das Leben genommen.“ Das ist mal eine Ansage.

Die Wolken kommen näher, bis sie mich mit ihrem Flausch umschließen. Weit entfernt erklingen surreale Computergeräusche und auch wenn nur die Hälfte hier ankommt, ergeben sogar die total Sinn. Ich tauche meine Hand ins Wasser und ziehe einen flüssigen Silberfaden heraus, der sich in tausend Tropfen auflöst. Ich versuche, meine Gefühle in Worte zu fassen, mir das hier alles zu erklären, da sagt das Spiegelmädchen: „Hey, entspann dich, hier wird nicht gedacht, hier wird nur assoziiert“ und küsst mich auf den Mund.

Weiterlesen:

Teil 1: Nüchtern

Teil 2: Mittendrin

Foto: Maximiliane Wittek

Text: Antonie Hänel

Diese Kurzgeschichte ist zuerst in der Garbicz Gazeta #1 erschienen.

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