Feiern für Anfänger: Einführung in den Berliner Hedonismus

Berlin überleben: Ein Guide für alle, die gerade frisch nach Berlin gezogen sind und sich nicht zwischen Club, Winterdepression und Überdosis verlieren wollen. Denn das geht schneller als du denkst.

Lass uns raten: Deine Heimat ist dir zu klein geworden, der Alkohol-Rausch zu langweilig, deine alten Freunde erzählen sich immer noch dieselben Geschichten eurer „wilden“ Schulzeit und von den Clubs, die bei euch noch Diskotheken heißen, wollen wir gar nicht erst anfangen. Also Berlin, klar, was sonst. Du wolltest Abenteuer, jetzt kriegst du Abenteuer. Vermutlich liegt sogar die beste Zeit deines Lebens vor dir.

Damit nach der besten also nicht die schlimmste Zeit deines Lebens folgt, nimm dir die folgenden Tipps zu Herzen und erspare dir ein paar Club-Enttäuschungen, Therapie-Stunden und Sucht-Probleme.

Fange klein an

Du bist vermutlich wegen deiner „Individualität“ nach Berlin gekommen, also sei kein Mitläufer. Du musst nicht ins Berghain, nur weil da alle hinwollen. Nicht jeder findet es cool, sich mit acht Leuten in eine 2-Quadratmeter-Klokabine zu quetschen und nicht jeder bleibt entspannt, wenn sich die Gäste an der Bar plötzlich das Gesäß mit der Faust liebkosen. Sieh es ein, die Konventionen stecken (noch) tief in dir drin und das ist okay! Fang klein an und nicht mit der Profi-Liga. Wenn du merkst, dass es dein Ding ist, wirst du dich freuen, noch eine Steigerung zu haben.

Geh alleine weg

Am Anfang kostet es Überwindung. Viele bleiben dann aber trotz wachsendem Freundeskreis dabei, denn alleine Weggehen ist der Hammer! Das hat viele Gründe: Als Einzelperson kommst du viel leichter in den Club deiner Wahl. Alleine kannst du dich an der Bar besser auf deinen Flirt konzentrieren oder dich auf der Tanzfläche in der Musik verlieren. Du musst dich nicht ständig nach den Laberflashs deiner Freunde richten und wirkst automatisch viel offener auf die anderen. Nach zwei Monaten wirst du allerdings zu viele Menschen kennen, um in dieser Stadt jemals wieder allein weggehen zu können.

Respektiere den Türsteher

Der Türsteher ist der Chef der Nacht und er möchte im Vorstellungsgespräch an der Tür rausbekommen, ob du zur Firma passt. Also frage dich: Warum gerade dieser Club, was erhoffst du dir von ihm und wie kannst du dich einbringen? Wenn du auf eine Fetischparty gehst, ziehst du ja auch kein Blümchenkleid an.

In der Sekunde der Wahrheit, also in dem Moment, in dem dich der Türsteher abcheckt, hilft Schlagfertigkeit, die DJs im Kopf zu haben, die du heute hören willst (denn hoffentlich ehrst du die Musik!) und nicht nervös zu werden. Sätze wie „Ich wollte nur mal gucken …“ werden garantiert dafür sorgen, dass du nichts zu sehen kriegst. Du willst nicht gucken, du willst Teil der Party sein!

Clubregeln

Totale Freiheit, ja. Aber es gibt ein paar Regeln des menschlichen Zusammenseins, die eigentlich für die ganze Welt gelten, mittlerweile aber nur noch in Clubs so selbstverständlich zelebriert werden. Während du am Anfang deiner Feierkarriere noch von der Welt verroht bist, wirst du in ein paar Monaten deinen inneren Hippie entdeckt haben und im Sommer bereit sein, barfuß, Palo Santo schwingend und mit glitzerndem Gesicht über die Wiesen zu hüpfen (oder im kleinen Schwarzen durchs Berghain).

Alles, was mit Sexismus, Rassismus, Homophobie und sonstigem Ausgrenzungsdenken zu tun hat, hat in den heiligen Hallen des Hedonismus selbstredend nichts zu suchen. Dann gibt es aber noch ein paar spezielle Berlin-Regeln: Drogen werden nur auf dem Klo genommen und nicht auf irgendwelchen Sofas, das ist respektlos dem Club gegenüber, denn immer noch illegal. Entsprechend viel Zeit musst du als Frau für den Toilettengang einplanen, also lerne, eine halbe Stunde vorher zu gehen, bevor es dringend wird oder besorge dir ein Urinella. Niemand braucht diese aggressiven Menschen, die wie die Irren gegen Klotüren hämmern. In diesem Sinne allerdings auch: Verquatscht euch nicht auf dem Klo. Es gibt Mädels (und Jungs), die sind drauf angewiesen …

Desweiteren: Sei hilfsbereit. Zünde im Raum schwebende Zigaretten an, wenn du dein Feuer gerade griffbereit hast. Frage im Raum liegende Menschen, ob es ihnen gut geht oder besorg ihnen Wasser. Andersrum gilt: Nur weil alle Menschen nett zu dir sind, bedeutet das nicht, dass alle Menschen mit dir ins Bett wollen. Typen, die notgeil jeden Rock durch den Club verfolgen, werden schneller rausfliegen als sie „Lechz“ sagen können. Fotografiere nicht – erst recht keine anderen Menschen, denn das Wörtchen „Contenance“ ist für eine gute Party lediglich in ironischem Sinne zu gebrauchen. Und: Lass den Tanzenden Platz, auch akustischen. It’s a Dancefloor, not a Talkshow. Die Tanzfläche ist nicht der richtige Ort, um deiner Begleitung einen Roman ins Ohr zu schreien.

Überlege dir das mit den Drogen gut

Kommen wir zum wichtigsten Thema, denn wir sind in Berlin und die Versuchung ist groß. Drogen sind leicht zu kriegen, aber nicht leicht zu handeln. Sie können dir zwar andere Welten eröffnen, aber auch die wirkliche Welt dauerhaft verschließen. Sucht und Psychosen sind keine erfundenen Märchen, um dir den ganzen Spaß zu nehmen – ohne Selbstreflexion und Respekt vor den Substanzen wirst du das schneller herausfinden als dir lieb ist. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den Horrorgeschichten, die dir von Eltern und Lehrern eingetrichtert wurden und der Verherrlichung, die teilweise in den Clubs passiert.

Wenn du weißt, du bist interessiert, informiere dich bitte gut, Seiten wie Eve & Rave oder Organisationen wie eclipse sind für dich da. Denn auch in Sachen Drogen gilt: Sei kein Mitläufer. Nimm niemals etwas, um dazuzugehören, obwohl du dich eigentlich schon von Ibuprofen beduselt fühlst. Nur, weil dir ein Erleuchteter mit übermenschlicher Psyche erzählt, wie sehr er seine Nahtod-Erfahrung auf Ketamin genossen hat, bedeutet das nicht, dass das K-Hole für dich auch erstrebenswert ist. Vor allem nicht, wenn du dich gerade fragst, was das sein soll. Nimm außerdem niemals Drogen, um irgendein schlechtes Gefühl zu eliminieren. Es wird alles nur noch schlimmer, Stichwort: Set & Setting.

„Drei Tage wach“ ist nicht cool

Trotz besseren Wissens werden deine Praxis-Kurse in der Drogenanwendung vermutlich auf düsteren Klubklos stattfinden. Halte dich dabei an erfahrene Feierfreunde, die ihr Leben auch außerhalb des Clubs auf die Reihe kriegen. Und nein, weißes Pulver durch Augenmaß bis auf ein Nanogramm einschätzen zu können, ist keine Eigenschaft, die einen in der wirklichen Welt weiterbringt. Falls du die Leute, mit denen du gerade auf dem Klo bist, noch nicht so gut kennst, hoffen wir, du hast eine gute Menschenkenntnis.

Und zu guter Letzt: Auch wenn der Club niemals schließt, du dich gar nicht mehr an deine Grundbedürfnisse erinnern kannst und es mittlerweile schon Songs darüber gibt: „Drei Tage wach“ ist nicht cool. Sich mit seinem krassen Konsum zu brüsten auch nicht (was übrigens auch für Alkohol gilt). Iss, trink und schlaf zwischendurch. Du glaubst doch nicht wirklich, dass dich das Zeug zum Roboter macht.

Komm runter

Jede Party hat ein Ende. Wenn du nach Hause kommst, wirst du vermutlich noch ein paar Zentimeter über dem Boden schweben. Manchmal wirst du noch Tage später glühen. Meistens aber wirst du zwei oder drei Tage leiden. Das muss so. Kein Höhepunkt ohne Tieflandung. Der Abfuck gehört dazu, dein Serotonin-Speicher ist leer und muss sich erst wieder auffüllen. Du kannst ihm mit Sonnenlicht, Cashewkernen und 5-HTP dabei helfen. Jetzt – vor allem im grauen Berliner Winter – ist alles erlaubt, was auch bei Liebeskummer hilft: Essen, Serien, Musik, Spaziergänge, Arbeit, Masturbation.

Du hast den Downer wider Erwarten überlebt und checkst schon wieder die Veranstaltungen auf Resident Advisor? Hm. Du kannst jetzt natürlich noch monatelang so weitermachen, bis du gar keine Ahnung mehr hast, wie sich Glück ohne Chemie anfühlt. Aber sei ehrlich zu dir selbst: Wenn der Club für dich nur noch eine Ausrede ist, um Drogen zu nehmen, dann hast du ein Problem und solltest vielleicht mal vistaberlin.de besuchen.

Lektionen fürs Leben

Nachdem du diesen Guide bis zum Schluss gelesen hast, scheinst du allerdings ein ganz vernünftiger Mensch zu sein, der versteht, dass Feiern im Grunde eine komprimierte Lektion über das Auf und Ab des Lebens ist. Man muss die gute Zeit genießen, sich eine Bewältigungsstrategie für die schlechte zulegen und akzeptieren lernen, dass sich beide ständig abwechseln.

Dieser Text ist zuerst auf Mit Vergnügen erschienen.

Text: Antonie Hänel

Fotos: Maximiliane Wittek

Schreibe einen Kommentar