Volksbühne: Aufstand im Theater

In Berlin werden wieder Häuser besetzt und zwar kein Geringeres als die Volksbühne. Heute soll ab Mitternacht 60 Stunden lang für Freiraum und Kreativität gekämpft und getanzt werden.

Es gab mal eine Zeit, da hat man in Berlin Wohnungen besetzt anstatt sie zu besitzen. Die Wenigsten, die das hier lesen, dürften dabei gewesen sein – aber dieses Gefühl von Anarchie und Freiheit ist immer noch der Hauptgrund, weshalb alle Welt nach Berlin strömt.

Wegen, für und auf der Suche nach diesem Gefühl hat ein Kollektiv heute die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz besetzt.

Nicht gegen Dercon

Wie es aussieht, geht es dabei weniger um den umstrittenen neuen Intendanten des Theaters, sondern viel mehr um eine Art Zusammenschluss von Kreativen dieser Stadt, die mit dieser auf drei Monate angelegten Aktion ihren Lebensraum zurückfordern.

In einer Presseerklärung – nachzulesen hier – verkündeten sie:

„Der Überfluss an Raum wurde nicht mit politischem Willen erhalten. Unsere Stadt wurde vielmehr als Beute dargeboten und der Profitgier schienen keine Grenzen gesetzt. […] Exorbitante Mieten und unsichere Arbeitsverhältnisse führen zu existenzieller Angst, zu Lähmung, Resignation und Isolation. Diese Schockstarre gilt es gemeinsam aufzubrechen. Mit dieser kollektiven transmedialen Theaterinszenierung nehmen wir das Theaterhaus in Besitz und erklären es zum Eigentum aller Menschen.“

Applaus.

Geplantes Chaos

Die Operation wurde seit einem Dreivierteljahr vorbereitet, von einem harten Kern von 40 Leuten plus 110 Helfern. Das maßgebliche Kollektiv Staub zu Glitzer hat sich gleichzeitig von der Bühne verabschiedet, um Platz für die Transformation zu machen. Eine Liste der Unterstützer – darunter Dirk von Lowtzow von Tocotronic oder der Autor Marc-Uwe Kling – kann man hier einsehen. Alle sind aufgerufen, mitzumachen, insbesondere die alten Mitglieder der Volksbühne. Ein Awareness-Team, versierte Bühnentechniker_innen und erfahrene Securitys sollen Ordnung wahren. Sachbeschädigung oder respektloses Verhalten oder persönliche Angriffe auf Chris Dercon sind ausdrücklich untersagt. Mehr Informationen unter www.b6112.de .

Nach der offiziellen Verkündigung sorgte ein Sprecher von Reclaim Club Culture in rosa Shorts und schwarzer Maske für eine weitere herzerwärmende Rede:

60-Stunden-Rave im Roten Salon

Die Presseerklärung schloss ab mit der Ankündigung, dass man heute „ab 22,23,24 Uhr“ für 60 Stunden im roten Salon, Teil der besetzten Volksbühne, den besten Club machen will, den Berlin je gesehen hat. Es dürfte voll werden.

Kritik gibt es natürlich auch schon. Die offiziellen Medien (Deutschlandfunk Kultur) nennen die Aktion bereits „naiv“. Die waren dann in den Neunzigern wohl auch nicht dabei. Der Witz an der Sache ist für mich, dass hier ein Protest, der (nicht nur) in der Clubszene schon lange Thema ist, durch die Aufmerksamkeit, die die angesehene Volksbühne bekommt, nun auf ein neues Level gehoben wird.

Dass das, wie im Clubumfeld üblich, zeitgleich mit der Forderung nach Feminismus (Frauenquote von 50% in den Gremien!) und Antirassismus verbunden wird, ist für mich absolut logisch. Wenn Deutschlandfunk Kultur diesen Teil der Rede mit den Worten abtut „also alles, wogegen man so sein kann“, ist das ungefähr dasselbe Niveau, wie das Wort Gutmensch als Schimpfwort zu benutzen.

Foto: Maximiliane Wittek

Text: Antonie Hänel

Schreibe einen Kommentar