Wortskizze: Immer mit der Ruhe

Augen auf, erster Gedanke: Nicht gut. Wenn man morgens nicht durch den Defibrillatorschock des Alltags  – sprich: Wecker – aus der Tiefschlafphase gerissen wird, ist das nie ein gutes Zeichen. Fuck! Nur noch zehn Minuten. Keine Zeit zum Duschen, dramatische Szenen vor dem Kleiderschrank, Zeh anstoßen am Bettrand, die Lippen mit der Wimperntusche schminken, das volle Programm.

Irgendwann komm ich zur Haltestelle, der Bus leider nicht. Ich werde immer unruhiger, fluche ein bisschen vor mich hin und befinde mich damit in guter Gesellschaft. Um diese Uhrzeit sind irgendwie alle nervös, ganz normaler Großstadtwahnsinn eben, irgendwas ist immer zu spät, falsch oder generell scheiße. So hängen wir gerade alle unseren Sorgen nach und starren auf die Kreuzung Pannier-/Pflügerstr, als es passiert.

Eines dieser orangenen Saubermachautos mit überdimensionalem Staubsauger hinten dran und lustigem Spruch auf der Seite – diesmal „Fegaro“ – biegt gerade vom Bürgersteig auf die Straße ab, als ein zusammengefaltetes Männchen in einem viel zu kleinen blauen Fiat sein Leben an sich vorbeiziehen sieht, während er darauf wartet, dass dieses orange Monster die Straße erkrochen hat. Also rast er los und rammt sich in einem Anfall von lebensbedrohender Torschlusspanik in das Saubermachauto hinein. Das war ganz schön bescheuert. Allgemeines Kopfschütteln an der Bushaltestelle.

Das orangene Saubermachauto und sein Herrchen bleiben cool. Das Männchen aus dem Fiat klappt sich auseinander, steigt aus und versucht die letzten Kraftreserven für einen Wutanfall zu mobilisieren. Dann wird ihm klar, dass ihm eigentlich die Argumente fehlen und es jetzt sowieso egal ist. Das Männchen wird auf einmal ganz ruhig und breitet die Arme zur „Was soll ich sagen, scheiße gelaufen“-Geste aus. Kapitulation. Der Termin verpasst, das Auto kaputt, jetzt heißt es warten auf die Polizei.

Auch wir an der Bushaltestelle sind jetzt aus unseren Morgensorgen gerissen und irgendwie ist das ganz angenehm, so in der Relation: Vielleicht haben wir alle gerade Glück gehabt. Was soll das auch, dieses ständige Gedränge und Gehetze. Plötzlich grinsen wir uns an.

Und der Fegaro, der tuckelt in aller Ruhe weiter seine Route entlang, mit den Drehkehrscheiben direkt über die Unfallstelle, die danach schon keine mehr ist. Es kann so einfach sein.

Text: Antonie Haenel

Bilder: Maximiliane Wittek

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